Therapie, E-Mail, (unerwartetes) Telefonat

Nach der letzten Therapiestunde habe ich nachts meiner Therapeutin unter Tränen eine Mail geschrieben. Sie hatte während der Stunde angeboten, dass ich ihr in ihrem Urlaub wieder E-Mails schreiben kann. Es war ihr letzter Tag vor dem Urlaub und der Termin den wir an dem Tag hatten, war sowieso schon zusätzlich zu meinen „normalen“ Terminen von ihr vereinbart worden, weil sie bemerkt hatte, dass es mir wirklich schlecht ging… Der Termin am Dienstag ist dann leider nicht gut gelaufen.

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Hallo Fr. Thera, 

ich bin mir gar nicht sicher wie genau das mit dem Mails schreiben gemeint war, aber ich hoffe es ist so okay.

Als ich vorhin die Praxis verlassen habe, habe ich mich schrecklich gefühlt und bin dann nicht sehr weit gekommen und habe schließlich 1,5 Stunde im Regen gestanden, weil ich vollkommen unfähig war mich zu bewegen. Ich konnte nicht nach Hause gehen. Ich habe kurz überlegt zurück zu ihnen zu gehen, aber ich wollte nicht anstrengend und fordernd sein… Also bin ich einfach stehen geblieben und habe mich so einsam und leer gefühlt. Ich hatte mir eigentlich für heute vorgenommen zu erzählen, dass ich seit Tagen eigentlich nur noch darüber nachdenke mir weh zu tun und mich am Donnerstag, noch während meiner Arbeitszeit, geschnitten habe. Ich war und bin so wahnsinnig überfordert. Ich konnte auch eben nur daran denken. Die Vorstellungen in meinem Kopf sind sehr explizit. Immer wieder tauchen diese Bilder in meinem Kopf auf. Bilder davon wie ich mir weh tue, wie es aussehen soll, wie es sich anfühlen soll, wie schlimm es sein soll. Es soll schlimm sein, wirklich schlimm. Ich wusste, dass ich wenn ich nach Hause gehe, wahrscheinlich nicht standhalten kann und mich dem einfach hingebe, also stand ich eine Ewigkeit im Regen, aber es wurde nicht wirklich besser. Ich fühle mich so schrecklich und ich glaube nicht daran, dass ich die kommende Zeit unbeschadet überstehen werde. Naja eigentlich weiß ich es, weil ich nichtmal den heutigen Abend unbeschadet überstanden habe. Ich weiß einfach nicht wie ich zurechtkommen soll. Ich habe es eben dann irgendwie geschafft einem Freund (David) zu schreiben und habe eine ganze Weile mit ihm geschrieben. Er hat mir sehr deutlich gesagt, dass er sich große Sorgen macht, aber auch, dass er als Laie etwas überfordert damit ist. Trotzdem hört er mir gerne weiter zu und meinte ich kann mich jederzeit bei ihm melden. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn überfordert habe. Er war eben sogar noch so lieb und hat mit mir einen Voice Chat gemacht. Selbst Smalltalk war eben wahnsinnig schwierig. Ich weiß nicht wie ich bis zu meinem Termin mit der Hausverwaltung morgen früh wenigstens wieder einigermaßen gefasst sein soll. Ich fange alle paar Minuten einfach an zu heulen, ohne dass es im einzelnen einen speziellen Grund gibt. Ich habe einfach keine Kraft mehr, mir ist das alles zu viel und ich will einfach nur noch, dass das aufhört. Es fühlt sich an als ob es mich wortwörtlich zerreißt, mein ganzer Körper tut weh und ich weiß absolut nicht wohin mit mir. Ich frage mich die ganze Zeit wieso ist überhaupt noch versuche zu wiederstehen, was es überhaupt noch bringen soll, wieso ich mir nicht einfach die Arme aufschneide… Ich habe darauf nicht wirklich eine Antwort, was es nicht leichter macht es nicht zu tun.
Cedric [mein Freund] ist leider auch keine Hilfe, weil ich die ganze Zeit das Gefühl habe, dass er genervt von mir ist und mit der Situation überfordert ist. Ich habe es vorhin auch nicht geschafft ihm zu schreiben, ihn um Hilfe zu bitten oder ihm wenigstens auf seine Nachricht zu antworten als ich da im Regen stand. Ich weiß nicht wie ich es geschafft habe zum Bus zu gehen. Die Busfahrt war die Hölle und ich musste mich regelrecht zwingen nicht frühzeitig wieder auszusteigen. Ich wünschte ich wäre einfach im Regen stehen geblieben. Ich fühle mich so scheiße und ich weiß nicht wie ich das ertragen soll, wie ich nicht komplett durchdrehen soll. Ich fühle mich so verloren. Ich weiß nicht weiter, ich bin fertig… Ich wollte heute darüber reden wie ich die nächsten zwei Wochen irgendwie rumkriege ohne dass schlimmeres passiert. Ich habe es aber einfach nicht hinbekommen diese Gedanken auszusprechen, auszusprechen, dass ich mir weh getan habe. Damit dass ich nicht darüber gesprochen habe, habe ich alles noch schlimmer gemacht, weil ich mich jetzt noch schlechter fühle und jetzt keine Ahnung habe wie ich das überstehen soll… Es geht mir alles andere als gut und ich sehe gerade kein Licht.  Es ärgert mich, dass ich es momentan wieder nicht schaffe zu reden, dass ich so sehr in mir versinke und damit so viel Zeit von der Therapie verschwende… Sie haben mich gefragt ob ich den Notfallplan habe, das hat Fr. Leidert mich am Freitag auch gefragt. Sie hat mich sehr direkt gefragt ob ich aktuell Suizidgedanken habe und das konnte ich halt nicht wirklich verneinen. Ich denke schon immer wieder wieso ich überhaupt noch kämpfe, wozu ich das alles ertrage… Trotzdem scheint es geradezu unmöglich, dass ich es im Fall der Fälle hinbekommen würde irgendwen anzurufen. Das wäre halt auch etwas gewesen worüber ich eigentlich reden wollte… Eigentlich… Auch wenn die Gedanken daran mir weh zu tun momentan eher im Vordergrund stehen… Keine Ahnung… Ich fühle mich einfach schrecklich und weiß nicht weiter… Keine Ahnung wieso ich überhaupt diese Mail schreibe… Irgendwie hatte ich gehofft, dass es besser wird, wenn ich schreibe, aber es hilft gerade leider nicht…

Meli

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Ich hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, schließlich hat sie mir letztes Mal, als sie das mit dem E-Mails schreiben angeboten hatte, extra betont, dass sie mir auf die E-Mails nicht antworten kann, dass wir aber in der ersten Stunde nach dem Urlaub darüber reden werden. Als ich also am Mittwoch Morgen plötzlich eine Mail von ihr auf meinem Handy entdeckte war ich wahnsinnig erschrocken und mit war sofort wahnsinnig schlecht. In der Mail stand dann nur ein einzelner Satz. Sie bat mich darum ihr meine Handynummer zu schicken, damit sie mich anrufen kann. Kurz wunderte mich diese Bitte, schließlich hat sie meine Nummer eigentlich, aber dann fiel mir auf, dass sie ja gar nicht in der Praxis ist. Angst. In dem Moment als mir klar wurde, dass sie mich aus ihrem Urlaub anrufen möchte, stieg wahnsinnige Angst in mir hoch. Angst davor was sie mir am Telefon sagen möchte. Angst davor, dass sie möchte, dass ich in eine Klinik gehe. Angst davor, dass ich etwas falsch gemacht habe und sie mir sagen möchte, dass ich solche Mails nicht schreiben darf. Trotz dieser panischen Angst habe ich ihr meine Handynummer geschickt und dann mit wahnsinniger Angst auf den Anruf gewartet.

Als sie schließlich anrief, lag ich eingekuschelt in meinem Bett. Total k.o. von einem Termin mit der Hausverwaltung der Wohnung für die ich mich interessiert habe, bei dem ich mich immernoch frage wie ich den erfolgreich hinter mich bringen konnte und wenigstens für die 40 Minuten meine Gefühle zumindest äußerlichim Griff haben konnte.

Wir haben dann fast eine halbe Stunde telefoniert. Sie wollte nochmal über den Notfallplan sprechen und nochmal darüber reden wie ich die nächsten Tage einfach rumbekommen kann ohne das schlimmeres passiert, ohne dass ich mir zu schlimm weh tue (ich glaube sie hat verstanden, dass es unrealistisch ist, dass ich nach dem ich jetzt wieder damit angefangen habe, die kommende Zeit ganz ohne überstehen werde) und ohne dass ich mir schlimmeres antue… Es ist mir schwer gefallen mit ihr zu sprechen, aber irgendwie habe ich es zumindest ein bisschen hinbekommen. Mit ihr zu telefonieren hat, auch wenn es schwierig und anstrengend war, aber irgendwie auch gut getan. Irgendwie hat mir dieses Telefonat das Gefühl gegeben, dass ich gesehen werde, dass sie verstanden hat, dass ich gerade weit weg von irgendwie ist es okay bin, dass sie sieht, dass ich auch mit mir kämpfe… Sie hat mir am Ende des Telefonates gesagt, dass ich ihr weiter Mails schreiben soll und sie es auch sehr interessiert wie es mit der Wohnung weitergeht und ich alles aufschreiben kann. Und dann kam ein Satz der mich fast wieder zum heulen gebracht hat. Sie meinte dass sie alles liest, dass sie aber nicht versprechen kann, dass sie mich anrufen kann. Es war aber gar keine Enttäuschung in dem Moment, sondern eher Verwunderung darüber, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt, dass sie das überhaupt in Betracht zieht, dass sie mich nicht alleine lässt, dass sie die Mails nicht erst kurz vor unserem nächsten Termin liest, sondern auch während ihres Urlaubs liest. Irgendwie finde ich das total berührend, aber irgendwie habe ich auch ein schlechtes Gewissen, dass ich so anstrengend bin, dass ich andere so sehr belaste…